Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich das Thema postnatale Depression noch einmal aufgreifen soll und habe mich schlussendlich dafür entschieden. Leider handelt es sich hier nämlich verbreitet um ein Tabu-Thema, denn kein Elternteil spricht gerne offen darüber. Die Gründe für das Stillschweigen sind vielfältig und reichen von Schamgefühl über Angst, dass andere Menschen einen ausgrenzen könnten, bis hin zur selbst gerichteten Frage „Bin ich unnormal?“.

Aus eigener schmerzhafter Erfahrung weiß ich sehr genau, was während dieser schweren Zeit in den Köpfen der Eltern, speziell natürlich der Mama vorgeht. Aber auch Väter können davon betroffen sein, dies sollte keinesfalls unerwähnt bleiben!

In meinen beiden Blogposts und meinem Vlog über die Schwangerschaft mit Lilli und die Geburt habe ich bereits am Rande beschrieben und erzählt, was die postnatale Depression mit mir und mit uns als Familie gemacht hat. Wer möchte, darf die alten Berichte sehr gerne noch einmal lesen und/oder anschauen:

–> Zum Blogpost: „Eine wehenvolle Schwangerschaft“

–> Zum Blogpost: „3 Tage Wehen: Lillis natürliche Geburt“

–> Zum Video: „Vom Kinderwunsch bis zur Geburt: Vorzeitige Wehen, 3 Monate Krankenhaus, Frühgeburt“

Ansonsten möchte ich euch mit diesem Erfahrungsbericht gern ein wenig über dieses Thema aufklären und euch zeigen, dass ihr weder „unnormal“ noch eine schlechte Mutter seid. Dieser Post dient keinesfalls dem persönlichen Erhaschen von Mitleid. Hiermit möchte ich euch einfach Mut machen, über diese Krankheit zu sprechen und euch Hilfe zu holen. Zusätzlich möchte ich euch verdeutlichen, dass ihr nicht allein seid.

An dieser Stelle weiß ich schon genau, dass ich diesen Bericht nicht emotionsfrei, sondern mit schmerzendem Herzen und mit Tränen in den Augen verfassen werde. Möglicherweise wird es euch beim Lesen genauso ergehen, wenn ihr an dieser Erkrankung akut leidet oder gelitten habt. Aber: Diese Emotionen sind wichtig, denn sie sind Bestandteil des Heilungsprozesses und der Verarbeitung. Auch jetzt bei mir, neun Jahre später noch …

Was ist eine postnatale Depression?

Eine postnatale Depression (kurz PND) ist eine ernsthafte, psychische Erkrankung nach der Geburt. Mit dem sogenannten „Babyblues“ hat sie rein gar nichts zu tun. Es kann jedoch sein, dass der Blues einen Übergang zur PND bildet. Die weinerliche Phase direkt nach der Geburt ist der Hormonumstellung und körperlichen Erschöpfung geschuldet. Zwar ist dies für die frischgebackene Mama keine schöne Zeit, der Blues hält aber zum Glück meist nur wenige Tage an und wandelt sich in der Regel recht schnell in das ersehnte Mutterglück.

Die PND hingegen zeigt sich nicht immer sofort nach der Entbindung. Wie bei einer echten Depression handelt es sich hier meist um einen eher schleichenden Prozess, der, wenn er zu spät diagnostiziert wird, erhebliche Konsequenzen haben kann. Bei manchen Müttern ist sogar zunächst alles „ganz normal“, sie empfinden Mutterglück und sind voller Liebe gegenüber ihrem Neugeborenen. Lediglich eine zunehmend schlechtere Stimmung und Gereiztheit kann auf eine PND hinweisen. Doch das richtige emotionale Loch kann auch erst nach Wochen oder gar Monaten auftreten, und auch die Intensitäten fallen dabei gänzlich unterschiedlich aus.

Diese Form der Depression tritt übrigens nicht unbedingt beim ersten Kind auf, sondern kann sich auch bei späteren Geburten erstmalig zeigen. Ebenso muss sie bei mehreren Geburten nicht automatisch mehrfach auftreten (Sollte dies aber passieren, so sollten die bereits bekannten Anzeichen richtig gedeutet und umgehend fachmännisch abgeklärt und behandelt werden!).

Postnatale Depression 9

Wodurch entsteht eine postnatale Depression?

Eine postnatale Depression kann gänzlich unterschiedliche Ursachen haben, entsteht aber meist durch ein emotional-hormonelles Chaos, durch soziale Einflüsse und/oder psychische Vorbelastungen. Auch akute Schicksalsschläge können eine PND hervorrufen oder begünstigen. Bei mir liegen die Gründe eindeutig in meiner komplizierten, sehr anstrengenden Schwangerschaft mit Lilli, der darauffolgenden langen Geburt, Problemen mit meiner Ursprungsfamilie und vor allem darin, dass man mir Lilli nach der Geburt quasi „entriss“ und ich sie tagelang nur durch den Inkubator ansehen und anfassen durfte.

Postnatale Depression 8

Nachdem Lilli entbunden war, legte man sie mir nur wenige Sekunden in den Arm, um sie dann auf die Neo-Intensivstation zu bringen. Etwa 4-5 Stunden sah ich mein Baby nicht und als ich endlich zu ihr durfte, hätte ich beinahe nicht gewusst, dass das Neugeborene in dem einen ganz bestimmten Brutkasten meine Tochter war, weil ich sie direkt nach der Geburt nur so extrem kurz gesehen hatte.

Die sehr lange, anstrengende und schwierige Zeit vorher sorgte dafür, dass wir den ärztlichen und schwesterlichen Anweisungen brav Folge leisteten, obwohl unsere Herzen innerlich schrien.

Hatten wir dafür so lange gekämpft? Um auf Ärzte, Schwestern und Hebammen zu hören, die weder einfühlsam waren noch Hilfe oder Unterstützung anboten? Sollte das jetzt unser Elternglück sein? Eine kleine zarte Lilli im Inkubator, die wir nicht in unseren Armen halten durften?

Und dann legte man Lilli auch noch einen Zugang… Auch heute tut es mir jedes Mal im Herzen weh, wenn eines meiner Kinder geimpft wird oder Ähnliches. Doch damals war der innerliche Schmerz um ein Vielfaches höher. Lilli war doch gerade erst auf die Welt gekommen, wurde wochenlang Antibiotika, Wehenhemmer etc. ausgesetzt. Und nun stach man ihr auch noch eine Nadel in ihr kleines Händchen. Mein Herz drohte zu zerspringen, denn ich konnte sie in diesem Moment weder schützen noch zur Beruhigung auf den Arm nehmen. Dieser simple Vorgang, also das Legen des Zugangs, mag nach außen hin so banal wirken, man könnte mich sogar einer Überreaktion bezichtigen. Ja, vielleicht war es praktisch gesehen so, aber Eltern, die dasselbe oder Ähnliches wie wir erlebt haben, werden diese Gefühle sicherlich verstehen.

Lilli kam auf die Welt und war sofort wieder „weg“. Und Micha und ich waren damals viel zu erschöpft, vor allem aber auch zu unerfahren, um uns dagegen wehren zu können. Die medizinische Notwendigkeit der Intensivstation und dem Drumherum ist uns bis heute natürlich absolut bewusst, wir hätten dies nie angezweifelt. Dennoch würden wir aus heutiger Sicht viele Dinge anders angehen. Aber wie sagt man so schön: Hinterher ist man immer schlauer.

Postnatale Depression 3

Symptome einer postnatalen Depression

Insgesamt verbrachten wir mehrere Wochen auf der Intensiv-, Wochenbett- und später Säuglingsstation. In dieser Zeit bekam Lilli dann auch noch Gelbsucht und ich erkrankte an einer schweren Blasenentzündung. Das Stillen klappte nicht (Abgesehen davon, dass man mich auch nicht dabei unterstützte…) und ich machte mir immer mehr Vorwürfe, fühlte mich wie eine Versagerin. Psychisch ging es mir täglich schlechter, ich weinte unglaublich viel, verstand die Welt nicht mehr, mein Herz war gebrochen.

Und auch Micha litt natürlich. All die Zeit, die er erst während der Schwangerschaft nur „untätig“ an meiner Seite verbringen konnte, stets in massiver Sorge um das Ungeborene und um mich. Und als Lilli dann endlich da war, konnte Micha wieder nur bedingt etwas tun, dieses Mal von den Ärzten gebremst.

Endlich war Lilli da, endlich hätte er sie in seine Arme schließen sollen. Aber er durfte nicht. Wir durften nicht. Und mein immer schlechter werdender, psychischer Zustand erschwerte Micha zusätzlich alles. Bis heute weiß ich nicht, woher er all die Kraft dafür nahm. Es gibt keine einzige Sekunde in meinem Leben, in der ich ihm dafür nicht dankbar bin. Denn all das und auch die anfängliche Zeit später zu Hause hätte ich niemals ohne ihn durchgestanden.

Postnatale Depression 1

Als dann endlich der Tag X anbrach, … der Tag, an dem wir nach Hause durften, hätten wir vor Freude Jubelsprünge machen müssen. Irgendwie waren wir auch glücklich und erleichtert, diese Gefühle wurden aber überlagert von einer gewissen Mechanik, die sich bei uns eingeschlichen hatte. Wir funktionierten einfach, all die Monate davor war das so gewesen. Plötzlich nach Hause zu dürfen – das fühlte sich merkwürdig an, obgleich wir uns freuten, dass sich endlich alles zum Guten wenden sollte.

Ja, die Zeit im Krankenhaus hatte ihr Ende gefunden. Aber das eigentliche Drama hörte längst nicht auf …

Die Traumata der vergangenen Monate nahm ich mit nach Hause und auch all die negativen Gefühle, die daran geknüpft waren. Ein Gedanke, der sich bereits nach Lillis Geburt immer wieder in den Vordergrund schob, den ich aber aus Scham sofort verdrängte, nahm in dem Moment, in dem ich durch unsere Haustür schritt, eine schmerzhafte, nicht mehr leugbare Präsenz an: Ich hatte keine Muttergefühle. Überhaupt keine. Zwar war ich mir einer ganz, ganz tiefen Liebe zu meinem Baby bewusst, aber ich fühlte mich nicht wie eine Mutter. Zudem kam mir zu Hause alles so komisch und anders vor. Alles fühlte sich fremd an, überhaupt nicht wie mein Heim.

Heute weiß ich übrigens, dass das eine ganz normale Reaktion des Hirns ist, wenn man so lange komplizierten und schweren Umständen ausgeliefert wurde. Aus Selbstschutz nimmt das Hirn diese Umstände mit der Zeit an und tituliert sie als „normal“, sodass ein Umstandswechsel das Hirn später verwirrt und es sich erst wieder an die neue Situation gewöhnen muss. Von einer mir nahe stehenden Mama, die eine ähnliche Geschichte wie wir hinter sich hat, weiß ich, dass sie selbst heute, also Jahre später, manchmal noch ins Krankenhaus zurück „möchte“. Klingt skurril, ist aber tatsächlich nicht ungewöhnlich.

Aber ich versuchte trotzdem zu „funktionieren“ und redete mir stets ein: „Das liegt an der schwierigen Zeit, das wird schon wieder.“

Was will man auch erwarten? Ich war noch sehr jung und die Schwangerschaft war furchtbar. Monatelang hatte ich kein Privatleben, konnte mich nicht von meinem alten Leben verabschieden, hatte keine Chance, mich auf normalem Wege auf das Muttersein vorzubereiten. Monatelang durfte ich nur im Bett liegen, hing durchgehend am wehenhemmenden Tropf in höchster Stufe, wurde mit diversen Medikamenten zugedröhnt und von morgens bis abends durchgecheckt – und das Tag für Tag. Darauf folgte eine schwierige Geburt mit starken Wehen über drei Tage und die Tatsache, dass man mir mein Baby danach sofort wieder wegnahm. Mein Baby, für das ich all die Monate so gekämpft und gelitten hatte. Und zu allem Überfluss funktionierte nicht einmal das Stillen, trotz wochenlanger Versuche und dem ewigen Wechseln zwischen Anlegen, Milchpumpe nutzen und Fläschchen geben.

Postnatale Depression 6

Es ging mir zunehmend schlechter, was sich nicht nur psychisch sondern auch immer mehr körperlich niederschlug. Ständig weinte ich oder war leicht reizbar und ich hatte wirklich Probleme, Lilli als mein Kind anzuerkennen. Es gab Tage, da schloss ich mich im Bad ein und schrie weinend Micha an, er solle sich kümmern, ich wolle das alles nicht. Zudem hatte ich mich noch überhaupt nicht von den Strapazen im Krankenhaus erholt. Erschöpfung und bleierne Müdigkeit, gepaart mit Schmerzen und Kreislaufproblemen standen auf der Tagesordnung.

Nach einer Weile fasste ich mir ein Herz und sprach meine Hebamme auf all das an. Leider weiß ich bis heute nicht, ob ich mich aufgrund meines Zustandes nicht klar genug ausgedrückt habe oder ob sie mich einfach nicht verstand. Sie hörte mir zwar zu, tat das Ganze aber als „Babyblues“ ab und versicherte mir, dass das bald vorbeigehen würde.

Leider war dem aber nicht so und es dauerte insgesamt fast sechs Monate, bis es langsam besser wurde und ich Lilli richtig als mein Kind annahm. Und leider habe ich auch erst sehr viel später erfahren, dass es sich bei mir keineswegs um einen einfachen Babyblues handelte. All die Symptome, gekoppelt an die Vorgeschichte, sind bzw. waren eindeutig: Ich litt an einer schweren postnatalen Depression, die man hätte behandeln können, wenn man sie als solche erkannt hätte.

All die Monate dachte ich, ich wäre irgendwie unnormal, dass mit mir etwas gewaltig nicht stimmen würde. Und obwohl Micha mich all die Zeit unglaublich toll unterstützt hat, so litt damals auch unsere Ehe darunter. Dies wiederum wurde ein zusätzlicher Faktor, der meinen Zustand weiter negativ beeinflusste. Immer mehr Schuldgefühle machten sich in mir breit. Ich hatte ein so furchtbar schlechtes Gewissen gegenüber Micha, vor allem aber gegenüber meiner kleinen Lilli.

Es war ein Teufelskreis, den ich bis heute nicht gänzlich durchbrechen kann, denn mein schlechtes Gewissen und all die Vorwürfe sind noch immer da, wenn ich mich an diese Zeit zurückerinnere. Tatsächlich brauchte ich auch erst die Geburt von Lotte und die darauffolgende gänzlich andere, total positive Kennenlernzeit, damit die Narben von damals etwas heilen konnten.

Bei Tom drohte übrigens eine weitere PND, die wir aber im letzten Moment abwenden konnten, weil Micha und ich die Anzeichen erkannten und dieses Mal rechtzeitig handelten, indem wir mit den Ärzten über unsere Vorgeschichte sprachen und unsere Ängste und Sorgen klar ausdrückten.

Postnatale Depression 2

Wie kann man eine postnatale Depression behandeln?

Am besten ist es natürlich, wenn man die Anzeichen rechtzeitig erkennt, deutet und präventiv reagiert, um eine PND möglicherweise noch abwenden zu können.

Hat sich die Krankheit bereits eingeschlichen, so ist es extrem wichtig, dass man sich Hilfe holt. Wie bei einer echten Depression, so sollte eine PND zunächst diagnostiziert und über eine medizinische Gegenmaßnahme gesprochen werden. Eine Psychotherapie ist absolut sinnvoll, weil diese auch nachhaltig wirken kann. Ebenso sollte man über eine Ernährungsumstellung nachdenken, da gewisse Mangelerscheinungen (z.B. Vitamin D-Mangel) das Krankheitsbild sogar verschlechtern können. Auch kann man, in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt, über Antidepressiva nachdenken (Es gibt auch welche, die während der Stillzeit eingenommen werden können!). Wichtig ist zudem, dass man auch das soziale Umfeld in Kenntnis setzt, da dieses dann unterstützend tätig werden kann. Und sei es, dass einem einfach jemand zuhört.

Am wichtigsten aber ist meiner Meinung nach, dass man sich nicht abschütteln lassen darf. Wenn man von dem ersten Arzt belächelt und aus der Praxis geschickt wird, dann sollte man schleunigst einen anderen Arzt aufsuchen. An dieser Stelle können Partner und Freunde übrigens sehr gut helfen und motivieren.

Aus eigener Erfahrung weiß ich ganz genau, wie schwer all das ist. Insbesondere dann, wenn man vielleicht auch noch völlig entkräftet ist. In all den Jahren habe ich aber gelernt, wie wichtig es ist, darüber zu sprechen. Nicht nur, wenn es akut ist, sondern auch später. Reden hilft ungemein.

Postnatale Depression 5

Seid euch bei alledem bitte immer wieder bewusst: Ihr seid weder unnormal noch unfähig noch verrückt! Vor allem aber seid ihr keine schlechte Mutter! Ihr habt etwas erlitten, das ihr alleine nicht bewältigen könnt und das euch und die Beziehung zu eurem Kind schwer belasten kann, wenn ihr nichts dagegen unternehmt. Bitte nehmt Hilfe in Anspruch –  für euch, eure Beziehung und vor allem für euer Baby!

Und wenn ihr es geschafft und die depressive Episode überwunden habt, dann redet mit anderen Müttern darüber, um wiederum ihnen Mut zu machen. Denn eine postnatale Depression sollte kein Tabu-Thema sein! Ich kann nur inständig hoffen, dass das auch eines Tages nicht mehr der Fall sein wird.

Hat von euch jemand ähnliche Erfahrungen gemacht? Wie habt ihr eure PND besiegt? Wie geht es euch heute?

Ich freue mich auf eure Kommentare.

Alles Liebe,

eure Mari